Österreichische Neutralität
- Historischer Kontext:
- Bereits seit dem Ersten Weltkrieg existierte die Idee eines „Bundes der Neutralen“ zur Friedenssicherung.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Besatzungsmächte (insbesondere die Sowjetunion) vorerst nicht abziehen.
- Ursprünglich bestand ein Bestreben nach einer eindeutig westlichen Ausrichtung.
- Nach Stalins Tod (1953) kam es zu Fortschritten im Besatzungsdialog.
- 1954 forderte Moskau die Neutralität Österreichs.
- Am 15. April 1955 handelte die österreichische Verhandlungsmission in Moskau freiwillig die Neutralität aus (Moskauer Memorandum).
- Den Verhandlern gelang es, die Neutralität nicht zum Bestandteil des Staatsvertrags zu machen.
- Neutralität seit dem 26. Oktober 1955, nach dem Abzug der Besatzungsmächte.
- Neutralitätsgesetz von 1955.
- Definition:
- „Immerwährende Neutralität“ bezieht sich auf Neutralität über mehrere Konflikte hinweg, nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt.
- Die österreichischen Verhandler nutzten die Formulierung „Neutralität nach dem Muster der Schweiz“, um zu signalisieren, dass
- es sich bei dieser Neutralität nicht um eine „Gesinnungsneutralität“ handelt,
- die gesamte Politik (einschließlich der Wirtschaftspolitik) im Kriegsfall darauf ausgerichtet sein muss, die Neutralität aufrechtzuerhalten.
- Die Neutralität ist weder Teil des Staatsvertrags noch von der Völkergemeinschaft garantiert. Sie stellt somit keinen völkerrechtlich bindenden Vertrag dar, sondern eine einseitige Erklärung.
- Neutralität in der Praxis:
- Frühe Bewährungsproben waren der Ungarische Volksaufstand (1956) und der Prager Frühling (1968).
- Im Rahmen von UNO-Friedensmissionen nahmen österreichische Soldaten an Einsätzen in Zypern und auf den Golanhöhen teil.
- Die Ansiedlung internationaler Organisationen wie UNO, IAEO, OPEC und UNIDO wurde von Kreisky als Garantie für Sicherheit gesehen (besser als eine große Armee).
- Seit 1991 darf Österreich Militärgütertransporte durch sein Territorium zulassen, allerdings nur zur Umsetzung von Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats.
- 1993 erfolgte eine Neuinterpretation der Neutralität, um an der Sicherheitspolitik der EU teilzunehmen. Artikel 23j definiert Ausnahmen für österreichische Interventionen:
- humanitäre Aufgaben
- Rettungseinsätze
- friedenserhaltende Aufgaben
- Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich friedensschaffender Maßnahmen
- 1994 trat Österreich der „Partnerschaft für den Frieden“ bei.
Argumente
- Pro
- Österreich ist durch die irische Klausel des EU-Vertrags eingeschränkt.
- Österreich liegt inmitten von NATO-Staaten und ist somit zwangsläufig mitgeschützt.
- Österreich genießt durch seine Neutralität internationales Ansehen und kann als Verhandlungsort genutzt werden.
- Die Neutralität ist ein Teil der österreichischen Identität.
- Eine Mitgliedschaft in einem Militärbündnis würde die Rüstungsausgaben erhöhen, was sich Österreich nicht leisten kann.
- Neutrale Staaten wie etwa die Schweiz genießen in vielen Ländern größere Freiheiten (der Schweizer Pass gilt als einer der wertvollsten der Welt).
- Kontra
- Die Neutralität kann jederzeit aufgehoben werden.
- Sie ist kein Teil des Staatsvertrags.
- Sie wurde nicht durch eine Volksabstimmung bestätigt.
- Sie ist kein völkerrechtlich bindender Vertrag, sondern eine einseitige Erklärung, die ohne Zustimmung anderer Staaten widerrufen werden kann.
- Der Begriff „immerwährend“ bezieht sich auf die Geltung über mehrere Konflikte hinweg, nicht auf eine zeitliche Dimension.
- Die irische Klausel bezieht sich nicht auf Österreich, da das Neutralitätsgesetz im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) keine Anwendung mehr findet.
- Die Neutralität hat keinen positiven Nutzen.
- Politisch:
- Seit dem Ende des Kalten Krieges wird bei internationaler Vermittlung nicht mehr vorrangig auf neutrale Staaten gesetzt.
- Die EU betrachtet Österreich nicht als vollständig vertrauenswürdigen Partner,
- insbesondere seit der Gründung der PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungssektor) im Jahr 2017.
- Österreich hat den Ruf eines „Trittbrettfahrers“, der sich von anderen europäischen Staaten schützen lässt, ohne selbst beizutragen.
- Militärisch:
- Effektive Neutralität erfordert höhere Militärausgaben, nicht geringere, und erlaubt keine Abrüstung (das ist auch im Neutralitätsgesetz festgehalten). Neutrale Länder müssen meist über eine starke Waffenindustrie verfügen, um ihre Verteidigung sicherzustellen.
- Kein Staat kann seine Sicherheit allein gewährleisten – besonders nicht, wenn er so stark in multinationale Strukturen eingebunden ist wie Österreich. In seiner eigenen Sicherheitsstrategie erkennt Österreich an, dass seine Sicherheitspolitik
- „in erster Linie im Rahmen der VN, der EU, der OSZE, durch Partnerschaften mit der NATO und im Europarat wahrgenommen wird.“
- In diesem Rahmen sind Interoperabilität und Kooperation erforderlich, die nicht einseitig erfolgen können.
- Die Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts haben nicht gezeigt, dass Neutralität der beste Weg ist. Belgien war in beiden Weltkriegen neutral und wurde zweimal besetzt. Moderne Beispiele wie die Ukraine und Moldau zeigen ebenfalls, dass Neutralität keinen Schutz vor Aggression bietet.
- Die Neutralität ist eine irrationale Illusion, die Österreichs politischen Fortschritt behindert.
- Der Vertrag von Lissabon (den Österreich unterzeichnet hat) beinhaltet eine Beistandspflicht im Falle eines Angriffs auf einen EU-Mitgliedstaat. Diese Pflicht gilt auch für neutrale Staaten, wie die Aktivierung der Klausel durch Frankreich gezeigt hat. Zwar können neutrale Staaten „neutralitätskonformen“ Beistand leisten, aber sie müssen in jedem Fall Hilfe anbieten.
- Als Frankreich den Artikel aktivierte, leistete Österreich Beistand und beteiligte sich mit Truppen an Anti-Terror-Operationen.
- Neutralität ist unmoralisch.
- Sie verletzt das moralische Prinzip der Gegenseitigkeit. Österreich profitiert sicherheitspolitisch von anderen europäischen Staaten, ohne selbst beizutragen. Als Land, dessen Wohlstand auf Kooperation mit diesen Staaten basiert, sollte Österreich aktiv zu deren Sicherheit beitragen.
- Sie kann Verbrecherstaaten begünstigen:
- So ließ die Schweiz im Zweiten Weltkrieg keine fliehenden Juden ins Land, betrieb regen Handel mit den Nazis, ermöglichte ihnen den Zugang zum Weltmarkt und wusch gestohlenes Gold, etwa aus der tschechischen Nationalbank.
- Neutralität dient oft dazu, sich moralisch reinzuwaschen, während man vom Leid anderer profitiert.
- Ein modernes Beispiel ist Österreichs Neutralitätsstatus, der genutzt wird, um Sanktionen gegen Russland zu umgehen und weiterhin Geschäfte mit Russland zu tätigen. Dadurch bleibt Russland teilweise der Zugang zu westlichen Finanzsystemen erhalten.
- Bonus:
- Die Neutralität war ursprünglich keine österreichische Initiative, sondern wurde von der Sowjetunion de facto aufgezwungen.
Quellen
Color Code
- Grün: Hauptargumente
- Rot: Negierung der Pro-Neutralitäts-Argumente
- Blau: Punkte die ich besonders wirkungsvoll finde
#Austria